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Barfuß wandern

Mit Manfred Gleditsch

Ein Selbstversuch unter Anleitung.

 

Ein sonniger, warmer Tag im Mai im Hochschwarzwald, genauer gesagt am Eingang zum Wanderweg durch die Ravennaschlucht. Ich bin mit Manfred Gleditsch zu einer Barfußwanderung verabredet. Der 69-jährige Teninger trägt seit 16 Jahren durchgehend keine Schuhe mehr.

Mein Blick geht in Richtung Kiesweg. "Wird schon nicht so schlimm werden", denke ich. Aber schon auf den ersten Metern merke ich ein unangenehmes Stechen. Spitze Kieselsteine bohren sich in meine Fußsohlen. Mich beschleicht die Frage: Hätte ich das Barfußlaufen vorher trainieren sollen?

"Kies ist immer unangenehm, auch nach 16 Jahren", sagt Manfred Gleditsch, dem mein skeptischer Blick nicht entgangen ist. Ich bin etwas beruhigter. Der Teninger läuft ausnahmslos barfuß – egal ob er zum Einkaufen geht, ob er einen Stadtbummel macht oder im Winter durch den Schwarzwald läuft. Einzige Ausnahmen: In harten Wintern mit viel Schnee zieht er Stulpen an. Die reichen vom Knie bis zum Knöchel. Zum Motorradfahren trägt er Stiefel, weil es sonst zu gefährlich wäre.

Ansonsten aber besitzt Manfred Gleditsch schon lange keine Schuhe mehr: „Ich sperre meine Füße doch nicht ein, prustet er“. "Da ist was dran", sage ich und denke dabei an meine unbequemen Highheels, die ich gelegentlich auf Hochzeiten trage. Aber könnte ich wirklich auf Schuhe ganz verzichten? Barfuß zur Arbeit gehen? Barfuß Rad fahren? Barfuß reisen? Barfuß auf öffentliche Toiletten gehen?

„Meine Füße passen eh in keine Schuhe mehr", setzt er fort. "Insgesamt ist der Fuß muskulöser und breiter als bei anderen Menschen, die nicht über lange Zeit barfuß laufen. Die Fußsohle ist robuster, aber trotzdem noch sensibel. Das Empfinden für heiß und kalt, spitze Steine oder weichen Waldboden, das bleibt. Über Jahrtausende sind die Menschen barfuß gelaufen, bis es überhaupt Schuhe gab." Stimmt, denke ich. Barfußlaufen kann eigentlich nicht ungesund sein. Es massiert zumindest die Fußsohlen und fördert die Durchblutung.

Als wir weiter durch die Ravennaschlucht gehen und uns andere Wanderer entgegenkommen, stelle ich fest, dass niemand wirklich wahrzunehmen scheint, dass wir keine Schuhe tragen. Kein komischer Kommentar, keine schrägen Blicke. Aber wie ist das, wenn man 16 Jahre so durchs Leben geht, will ich von dem 69-Jährigen wissen. Und wie kommt man dazu, nur noch barfuß zu laufen? 

Wenn ich barfuß laufe, verliere ich nie die Bodenhaftung. Ich bin im Dialog mit der Natur.

Manfred Gleditsch

Porträt des Barfußgehers Manfred Gleditsch
Porträt des Barfußgehers Manfred Gleditsch – © STG
Manfred Gleditsch © Schwarzwald Tourismus

Ohne Schuhe

Wie alles begann...

„Ich bin schon als 13-jähriger Junge im Sommer nur barfuß gelaufen. Mir gefiel die Bodenhaftung, mir gefiel es, das Gras unter den Füßen zu spüren. Danach bin ich immer öfter barfuß gelaufen, aber nicht durchgehend. Vor knapp 20 Jahren hatte ich ein Schlüsselerlebnis, als ich barfuß im ICE saß. Ich dachte immer, die Leute fänden es seltsam, wenn ich keine Schuhe trage. Aber dann merkte ich, dass sich eigentlich niemand darum schert. Die Hürde ist der eigene Kopf. So begann ich damit, die Schuhe einfach ganz aus meinem Leben zu verbannen. Bald stellte ich fest, dass ich nicht der Einzige war, der "unten ohne" durchs Leben geht. Bis heute begegne ich immer öfter Menschen, die keine Schuhe tragen.

Seit einigen Jahren bin ich in der Barfuß-Community. Das Internetportal dient dem Austausch unter Gleichgesinnten aus ganz Deutschland. 

In all den Jahren ohne Schuhe gab es aber auch immer mal wieder skurrile Situationen, an die ich mich mit einem Schmunzeln erinnere.

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Einmal war ich mit meiner Frau und einem befreundeten Ehepaar im Spanienurlaub. Wir hatten gerade im Hotelrestaurant Platz genommen, als ich gebeten wurde, den Restaurantbereich zu verlassen und ins Personalcasino umzuziehen. Anscheinend hat sich eine Engländerin gestört gefühlt angesichts meiner nackten Füße. 

Ein anderes Mal wurde ich aus einem Supermarkt in Spanien nach draußen beordert. Der Ladenhüter argumentierte damit, dass Barfußlaufen unhygienisch ist. Aber danach, wie unhygienisch eigentlich Schuhe sind, fragt natürlich keiner.

Ich habe immer ein Pflegetuch dabei, mit dem ich meine Fußsohlen reinigen kann. Das ist unabdingbar bei Verletzungen. Selbst bei einer kleinen Schnittwunde kann sonst schnell Dreck in die Wunde gelangen."

Die Körperhaltung ändert sich zum Positiven.

 

Manfred Gleditschs Frau ist Ärztin. Auch sie, so Gleditsch, bestätigt, wie sich das Barfußlaufen positiv auswirkt. Seit Jahren hat er keine Rückenschmerzen mehr, seine Fußmuskulatur und die Beinmuskulatur sind stärker und entlasten dadurch die Gelenke. Auch Studien belegen, dass beispielsweise Sportschuhe mit Dämpfung die Hüfte und die Gelenke sogar negativ beeinträchtigen. 

Beim Barfußlaufen treten wir mit der Fußspitze auf und rollen bis zum Mittelfuß leicht ab. Mit Schuhen ist es andersherum: Die Ferse berührt den Boden zuerst, und der Fuß wird von hinten bis zur Fußspitze abgerollt. Diese Laufbewegung ist von der Natur nicht vorgesehen und schädigt auf Dauer die Gelenke. Also besonders Hüfte, Knie, und die Achillessehne: Aus eigener Erfahrung und Rückmeldung von anderen aus der Barfuß-Community kann der Teninger bestätigen, dass es positiv auf die Wirbelsäule wirkt und es daher selten zu Rückschmerzen kommt. Die Haltung wird anders. 
 

Hürden existieren für Manfed Gleditsch seit seinem Schlüsselerlebnis nicht mehr. Er meidet öffentliche Toiletten und wenn er auf Beerdigungen geht, spricht er vorher mit den Angehörigen. Er will niemandem etwas Böses, sagt er. Er läuft auch nicht barfuß für den Weltfrieden oder gegen die Schuhindustrie. Er läuft einfach barfuß, weil er’s kann. 
Und wenn er Sprüche hört wie: „Können Sie sich keine Schuhe leisten?“ antwortet er nur:     „Ich kann es mir sogar leisten, barfuß zu laufen“.
 

 

Text & Bilder:    Iris Huber

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